Was für eine Aufregung eine Stunde vor dem Start in unser nächstes Abenteuer in der 2. Frauen-Bundesliga!
Hannah musste leider endgültig krank absagen, was sich schon am Vortag anbahnte, und auch die Freitag spontan spielbereite Sophie konnte dann nicht mehr rechtzeitig eingebaut werden. Ohne Brett 1: So ein herber Verlust! Ein Unglück kommt aber bekanntlich selten alleine, und so hagelte es die nächste Absage ebenfalls am Samstagmorgen. Auch Johanna musste erkrankt absagen. Brett 1 weg, Brett 2 weg – Aua!
Eigentlich chancenlos gegen starke Gegner aus Horst-Emscher und Heiden fuhren wir trotzdem los nach Erfurt – auch um die horrenden Strafgebühren für Nichtantreten in der zweithöchsten Liga zu vermeiden. In Kirchheim sammelten wir Becca ein, machten eine kleine Frühstückspause bei Mc Donald´s und lasen dann die nächste Hiobsbotschaft: Vollsperrung A4 in Richtung Erfurt. Na prima! Glücklicherweise war der Stau weg, als wir die besagte Stelle erreichten und wir konnten ungehindert weiterfahren und pünktlich in Erfurt unser Quartier beziehen. Die vier verbliebenen Damen waren im Opera-Hostel untergebracht und hatten im 6er-Zimmer jede Menge Platz. Ein sehr schönes Zimmer in einer äußerst gepflegten Unterkunft übrigens. Und ganz zentral in der Nähe des Karl-Marx Platzes gelegen.
Ich selbst wich schon im Vorfeld dem Schlafsaal mit 5 anderen wildfremden Männern aus (für so etwas bin ich zu alt) und bezog ein spartanisches Hotel in der Nähe. RW Erfurt hatte ein Heimspiel, und ich konnte während der Fahrt zum Hotel kopfschüttelnd bestaunen, dass einige zwielichtige Gestalten offenbar nur darauf warteten die Gäste aus Kiel gebührend in Empfang zu nehmen.
Nachmittags dann der Showdown gegen Horst-Emscher. Da Horst-Emscher Brett 3 frei ließ, ließ ich Elanor nicht aufrücken und meldete an Stelle von Sophie Hannah und Johanna. Dadurch konnte Elanor an 3 spielen und einen kampflosen Punkt einkassieren, sodass wir nur noch 1:2 hintenlagen. Es wurde also nur an den Brettern 4-6 gespielt. Becca hatte es mit der sehr starken Isabel Otterpohl (U12) zu tun, die sie aber im Mittelspiel überspielte und dabei eine Figur gewann. 2:2!
Lisa-Marie gewann in einer komplizierten, aber für Weiß sehr vorteilhaften, Eröffnungsvariante einen gesunden Bauer. Die leichte Initiative ihrer Gegnerin konnte sie mit einigen genauen Zügen abwehren und in ein gewonnenes Endspiel abwickeln. 3:2 für uns – da bahnte sich eine Riesenüberraschung an.
Derweil hatte Xenia die Sache eigentlich gut im Griff und lange eine völlig ausgeglichene Stellung. Leider unterschätzte sie den Königsangriff ihrer Gegnerin und verpasste ein energisches Gegenhalten. In hochgradiger Zeitnot und im Verbund mit einigen sehr starken Angriffszügen der Gegnerin kippte die Stellung und war bald hoffnungslos. Dass Xenia dann im 39. Zug die Zeit überschritt, war nicht mehr relevant.
Endstand 3:3 – immerhin ein Mannschaftsremis.
Abends machten wir einen schönen Bummel über den großartigen Erfurter Weihnachtsmarkt am Domplatz. Erfurt hat eine sehr schöne Altstadt und auch einen guten Italiener am Dom, bei dem wir es uns gutgehen ließen. Wahrscheinlich dachte die Bedieunung, dass da ein Papa mit seinen vier Töchtern anrückt 😉
Früh ging es zurück zur Unterkunft, denn die Damen – gewissenhaft und ehrgeizig, wie sie nun mal sind – wollten sich noch auf den kommenden Spieltag gegen den SV Heiden vorbereiten.
Mitten in der Nacht ereilte mich eine frohe Botschaft: Um 5.11 Uhr zeigt das Handy, dass Johanna auf dem Weg nach Erfurt ist und pünktlich am Brett sitzen wird. Klasse! Damit waren wir nur ein Brett im Hintertreffen, was gegen die starken Heidener Damen aber immer noch eine erhebliche Schwächung bedeutete. Heiden hatte am Vortag nur äußerst knapp gegen einen der großen Favoriten auf den Aufstieg in die Bundesliga (Medizin Erfurt) verloren. Da rollte also ein großer Brocken auf uns zu.
Vor dem Match wurde Mon Cheri verteilt – es war ja Nikolaus! Angesichts unseres zarten Altersschnitts von knapp 16 Jahren (weniger als die Hälfte des ligaweiten Altersschnitts), fanden diese Leckerlis bei unseren Mädchen aber weniger Anklang oder wurden – raffiniert Becca! – gegen reine Schokolade getauscht.
Elanor gewann dann in einer hochriskanten Theorievariante schnell eine Figur (bzw. die Gegnerin opferte sie), musste allerdings viel Zeit investieren, um die nicht zu unterschätztende Initiative der schwarzen Seite zu parieren. Das gelang aber souverän und wir konnten zum 1:1 ausgleichen.
Zwischenzeitlich taperte ich nervös draußen auf und ab, sah mir Teile eines Jugend-Fußballspieles nebenan an und schwatzte mit dem humorvollen und netten Schiedsrichter Albrecht Beer. Ein ganz erfahrener Mann, der sich im Mädchenschach bestens auskennt und schon zu DDR-Zeiten viel im (Jugend-)Schach erlebt hat. Da kamen ein paar hübsche Anekdoten zum Vorschein.
Leider überzog Becca derweilen ihre total ausgeglichene Stellung und spielte – wir es ihre erfrischende Art ist – kompromisslos auf Gewinn. Klappte nicht, denn ihre erfahrene Gegnerin wehrte alle Drohungen ab und konnte sich anschließend auf die Bauernschwächen in Beccas Lager stürzen. Die Niederlage war unvermeidbar.
Johanna spielte sehr sicher, aber die Stellung war einfach ausgeglichen und vermutlich jederzeit in der Remisbreite. Ein halber Punkt an Brett 2 war das logische Resultat, aber es zeigte sich, dass wir froh sein können eine so starke und erfahrene Spielerin an den vorderen Brettern sitzen zu haben, wo spielstärkemäßig ein ziemlich rauer Wind weht.
Lisa-Marie spielte im Mittelspiel nicht fehlerfrei und musste mit den schwarzen Steinen etwas Initiative über sich ergehen lassen. Als ihre Gegnerin dann einen möglichen Bauerngewinn übersah, wendete sich das Blatt langsam aber sicher und Lisa-Marie erarbeitete sich Vorteile. Das Endspiel spielte sie dann richtig klasse und gewann letztendlich verdient. 2,5:2,5 – meine Güte, schon wieder so spannend!
Xenia hatte eigentlich keine schlechte Stellung auf dem Brett und konnte sogar eine Bauernschwäche auf e6 schaffen, aber dann kam eine folgenschwere Fesselung, wodurch ein ganzer Turm verloren ging. Die Stellung war natürlich nicht mehr zu halten und wir haben knapp verloren. Schade!
Unter dem Strich haben wir trotz katastrophaler Ausgangslage einen ganz wichtigen Mannschaftspunkt geholt und weitere 2,5 Brettpunkte. Wer weiß, ob die später nicht auch noch einmal wichtig werden.
Vor den Spielerinnen kann ich nur den Hut ziehen. Egal, ob zuhause (Hannah) oder in England (Caro) im wahrsten Sinne des Wortes mitgefiebert (Hannah) wurde, oder in Dortmund, wo Sophie Freitag ganz spontan in den Startlöchern stand, oder natürlich in Erfurt selbst: Der Teamgeist war fantastisch und es wurde verbissen um jeden Zentimeter auf dem Brett gekämpft.
Wieder einmal zeigte sich, dass wir genau die richtigen Gastspielerinnen eingeladen haben, die sich mit unseren Blauen Springerinnen prima verstehen.