Samstag, 06.04.2013. Ein trüber Tag beginnt nach einer Nacht mit wenig Schlaf (meinerseits). Der letzte des Turniers.
Es ist wieder einmal eiskalt draußen, knapp über dem Gefrierpunkt und Schneeregen liegt in der Luft. War vor ein paar Tagen Ostern? Dieses Fest, welches gemeinhin mit akzeptablen Temperaturen den Frühling einläutet? Man mag es kaum glauben, eher kommt einem Weihnachten in Sibirien in den Sinn. Am Spielort konnte man sich in den letzten Tagen nur mit klappernden Zähnen draußen aufhalten, meistens pfiff auch noch ein frostiger Wind um die Ecken, der dafür sorgte, dass die meisten Erwachsenen in die Spielsäale flüchteten. Nur einige Hartgesottene, wie Murat oder Petra oder Sascha, sah man regelmäßig draußen. Dick eingepackt mit Mütze auf dem Kopf auf ihre in intellektuelle Zweikämpfe verwickelten Sprösslinge wartend.
Beim Frühstück ist Lisa-Marie wie immer bester Laune, super-optimistisch und kein bisschen nervös. Von wem hat die das bloß? Bei Caro sieht das schon ein wenig anders aus. Bei mir sowieso.
Die Mädchen spielen noch schnell ein paar Varianten durch und ich frage mich, ob ich sie auch gut genug vorbereitet habe. Lisa-Marie braucht heute ein Remis gegen eine Gegnerin, die offenbar beschlossen hat, in diesem Turnier über sich hinaus zu wachsen und klasse Leistungen gezeigt hat. Kein Mensch weiß, was für eine Eröffnung sie spielt. Von Drachen bis Französisch ist alles möglich.
Caro geht es kaum anders, auch sie muss mindestens Unentschieden spielen. Dann ist Platz 2 hinter der Top-Spielerin Amina Sherif, die in ihrer eigenen Liga spielt, festgetackert. Nach zwei undankbaren vierten Plätzen in den letzten beiden Jahren wäre ihr das zu wünschen. Sie hat hart für diese Chance gearbeitet, heute muss sie sie nutzen.
Keiner der vielen Schachfreunde, die man kennt, erwartet von Lisa-Marie und Carolin weniger als den Sieg bzw. Platz 2. Immer wieder werde ich freundschaftlich angesprochen: “Die machen das schon. Kein Thema.” Das macht die Sache erst Recht schwer.
Gespannt warte ich auf die Anfangszüge von Lisa-Maries Gegnerin. Kalashnikov-Sizilianisch? Lisa-Marie überlegt lange, man kann förmlich greifen, wie sie im Gedächtnis kramt. Sie findet die richtige Antwort, steht schnell gut, bald auf Gewinn und fährt das Ding sicher nach Hause. Platz 1!
Auch bei Caro läuft es gut. Sie bringt eine Variante auf´s Brett, bei der ihre Gegnerin immens viel Bedenkzeit verbraucht. Die fehlt später. Caro gewinnt. Die zweite Blaue Springerin ist sicher im Heimathafen gelandet.
Aber was macht die Dritte? Xenia hat die schwierigste Ausgangssituation und spielt am längsten. Nach Anfangsnervosität hat sie prima ins Turnier gefunden und starke Spiele abgeliefert, heute muss sie aber unbedingt gewinnen um noch eine Chance auf Platz 2 zu haben. Das wäre die Quali für die Deutschen Einzelmeisterschaften, der Traum eines jeden Nachwuchsspielers. Das wird extrem knapp. Nach zähem Kampf klären sich die Verhältnisse. Remis. Genauso wie am Nachbarbrett, den direkten Konkurrentinnen um Platz 2. Alle vier sind punktgleich. Reicht das? Laut meiner Excel-Tabelle ja mit einem halben Buchholzpunkt Vorsprung. Gott sei Dank hat Excel Recht. Glückwunsch an Xenia und Zoltan, der sie prima gecoacht hat. Mit Xenia hat die nächste Blaue Springerin das Ticket für die Deutschen gebucht.
Kimberly. “Hast du deine Gegnerinnen mit einem Zauberspruch reingelegt?”, habe ich sie gefragt, nachdem sie mit 4/4 furios ins Turnier gestartet war. Kimberly war immer gut drauf, auch dann noch, als die ersten Niederlagen kamen. Platz 4 am Ende. Mit sieben Jahren. Noch Fragen?
Was ist eigentlich mit den Jungs, die in beinharten Wettbewerben spielen? Da ist die Leistungsdichte noch mal um Einiges höher als bei den Mädels. Das darf man bei allem Lob für Letztere nicht unterschlagen.
In der U10 geht bei Noah richtig die Post ab. In Runde 7 musste sogar Alex Suvorov dran glauben. Einer der Top-Favoriten des Turniers. Theoretisch ist vor der letzten Runde für Noah sogar noch Platz 1 drin, dafür müsste aber Luca Suvorov patzen. Der aber ist Top-Top-Favorit der U10 schlechthin und bleibt in der letzten Runde cool. Noah wird Dritter, hauchdünn hinter dem Zweiten. Quali für die Deutschen Einzelmeisterschaften geschafft. Nächster Blauer Springer im Hafen!
Die U12-Konkurrenz ist von allen eng besetzten Wettbewerben in Kranenburg der vielleicht härteste. Da kann von den ersten zehn Spielern jeder jeden schlagen. Oben gibt es ein (absolut faires) Hauen und Stechen. Am Ende gewinnt der favorisierte Samuel Fieberg. Yakub hat prima dagegen gehalten und grundsolide 50% geholt. Respekt! Und Niklas und Mathis? Platzierungen im hinteren Bereich, die nur ein Ahnungsloser als enttäuschend abqualifizieren würde. Beide haben gezeigt, dass sie den Abstand zu den Besten ihres Jahrgangs im letzten Jahr verkürzt haben. Wir sind hier immerhin bei den NRW-Meisterschaften, an der nur Sieger teilnehmen, und nicht bei der Vereinsmeisterschaft von Schneeweiß Bethlehem. Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen!
Unser Spitzenspieler mit einer DWZ über 2000 ist ganz klar Carsten. Wenn die anderen auch mal so gut werden, haben sie einiges erreicht. Carsten legte gut los und spielte nach ein paar Tagen immer noch an Brett 1. Kein ganz schlechtes Zeichen. Dann kam die Niederlage gegen den extrem gut spielenden Ramil Sabirov, danach noch eine gegen Patrick Imcke. Aus. Leider musste Carsten am letzten Spieltag krank passen, trozdem Respekt für seine Leistung. Die “Kleinen” dürfen sich gerne mal bei ihm abschauen, wie man knappe Figurenendspiele spielt.
Wie immer war ich auch mit einem Auge bei den Partien von Hannah (LSV Turm Lippstadt). Leider saß sie so weit weg, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Ihr Maskottchen stand auch permanent im Weg (*grins*). Hannah wurde Zweite. Punktgleich hinter Elanor. Im Prinzip mit gleicher Buchholz, aber da Elanor ein kampfloses Ergebnis hatte, wurde Hannah ein halber Buchholzpunkt abgezogen. Dafür kann Elanor, die klasse gespielt hat und eine würdige Siegerin ist, gar nichts. Hannah aber auch nicht. Zwei Spielerinnen, die gleich stark aufgetreten sind und beide den Sieg verdient gehabt hätten.
Wer hat eigentlich die Regel erfunden, dass als letzte “Feinwertung” das Los herhalten soll? Da kann man ja auch gleich Kirschkernweitspucken machen oder Füßetreten oder so etwas. Warum nicht ein Blitz-Stichkampf? Das ist wenigstens Schach. Dann dauert das Turnier eben nicht eine Woche, sondern eine Woche plus 20 Minuten. So what?
Am Ende gab´s noch eine Überraschung: Wer kam kurz vor der Siegerehrung im blauen Trikot um die Ecke? Völlig unangeküdigt und unerwartet? Unser Präsident Ulrich, den es offenbar nicht mehr zu Hause am Ergebnisticker gehalten hat und der höchstpersönlich gratulieren wollte. Mit dabei Tochter Emily als Schlachtenbummlerin.
Klasse Aktion, Ulrich, darüber haben sich die Kinder sehr gefreut. Die Erwachsenen bestimmt auch.
Was kommt nach Kranenburg 2013? Für manche Oberhof 2013. Die Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften – so etwas wie der heilige Gral des deutschen Jugendschachs. Das ist ein elfrundiges (U10/ U12) bzw. neunrundiges Mammutturnier mit ca. 500 Teilnehmern und 500 Trainern bzw. Betreuern.
Da kann man sich drauf freuen – ein unvergessliches Erlebnis. Allerdings fährt man besser mit viel Demut hin…